Große Defizite bei der Umsetzung der Kinderrechte

Realisierung bleibt eine deutschlandweite und globale Herausforderung

Das Thema Kinderrechte kennen zwei Drittel der Deutschen nur vom Namen her, ergab eine Umfrage des Deutschen Kinderhilfswerkes im Jahr 2018. Das passt zum Stellenwert von Kinderrechten weltweit. „Denn trotz Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention sind in fast allen Staaten auf der Welt massive Defizite in der Umsetzung festzuhalten“, resümierte Dr. Katharina Gerarts in ihrem Vortrag zum Thema „30 Jahre UN-Kinderrechtskonvention“. Am 22. Juni betrachtete die Kindheitswissenschaftlerin auf der WeiterDenken-Veranstaltung der Karl Kübel Stiftung im Pfarrheim St. Georg in Bensheim Chancen, Herausforderungen und Grenzen der Konvention.

Ein Blick zurück in die Geschichte zeigte, wie lang der Weg zu diesem Übereinkommen war: 1948 setzte sich im Rahmen der Verabschiedung der UN-Menschenrechtskonvention das erste Mal eine eigene Kommission für die Erstellung eines speziellen Rechtekatalogs für Kinder ein. Während Kinder zuvor lange als Besitz der Eltern galten und ihre Arbeitskraft der Familie zur Verfügung stellten, begann sich das gesellschaftliche Bewusstsein langsam zu verändern. Es wurde klar, dass zwischen der Welt der Kinder und derjenigen der Erwachsenen zu unterscheiden ist und Kinder Schutzräume und eigene Rechte brauchen. Jedoch erst 40 Jahre später, im Jahr 1989, trat die UN-Konvention für Kinderrechte in Kraft. Deutschland ratifizierte sie 1992 und gab letzte Vorbehalte 2010 bezüglich der Stellung minderjähriger Flüchtlinge auf.

Die Konvention besitzt 54 Artikel und lässt sich in Förder-, Schutz- und Partizipationsrechte als ineinandergreifende Bereiche aufteilen, die für alle Kinder und Jugendlichen bis 18 Jahre gelten. Kindern wird darin ein Recht auf Bildung, Gesundheit und Beteiligung zugesprochen. Sie müssen vor Diskriminierung und in Notsituationen geschützt werden, Räume für Spiel, Freizeit und Erholung haben und einen Namen und eine Staatsangehörigkeit erhalten.

Sanktionsmöglichkeiten für Staaten, die diesen völkerrechtlichen Vertrag unterzeichnen, aber keine Umsetzung folgen lassen, gebe es nicht, so Gerarts. Sie stellte daher in der anschließenden Podiumsdiskussion, an der Dr. Daniel Heilmann, Vorstandsmitglied der Karl Kübel Stiftung, Dr. Cornelius Trendelenburg, stellvertretender Vorsitzender des Kinderschutzbundes Hessen, und Miriam Zeleke, hessische Beauftragte für Kinder- und Jugendrechte, teilnahmen, die Frage nach der tatsächlichen Durchsetzungskraft der Konvention.

Als Experte für Menschenrechte pflichtete Heilmann bei, dass jeder Staat die Umsetzung unterschiedlich ernst nehme. Zusätzlich erschwert werde die Realisierung, wenn nationales Recht und die Anforderungen der Kinderrechte-Konvention kollidieren. Als Beispiel verwies er auf die USA, die die Kinderrechtskonvention nicht ratifizierten, weil es im amerikanischen Straf- und Prozessrecht Artikel gibt, die im Widerspruch zu den UN-Artikeln stehen. In einigen Bundesstaaten können z.B. Minderjährige ohne Bewährungsmöglichkeit zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt werden und vor 15 Jahren war noch die Todesstrafe möglich.

Heilmann zeigte auch auf, wie unterschiedlich die Dimensionen bei der Implementation von Kinderrechten weltweit sind. In Tansania beispielsweise setzt die Karl Kübel Stiftung ein Projekt mit lokalen Partnern um, das Gewalt an Schulen vermindern soll, denn noch immer ist dort die Prügelstrafe üblich. In Deutschland hingegen geht es in der Stiftungsarbeit z.B. darum, allen Kindern gerechte Chancen auf Bildung und Teilhabe zu ermöglichen. Dazu werden Eltern, Kinder und Fachkräfte der frühkindlichen sowie schulischen Bildung durch passgenaue Angebote gestärkt. Demokratie und Vielfalt leben sowie globales und nachhaltiges Lernen sind Grundpfeiler der Angebote.

Deutschlandweit liegt Hessen beim Thema Kinderrechte weit vorne, da es das einzige Bundesland mit einer hauptamtlichen Beauftragten für Kinder- und Jugendrechte ist. Seit 2020 gibt es diesen Posten. Miriam Zeleke betonte: „Kinderrechte verwirklichen bedeutet, Vielfalt zu verwirklichen. Kinder bilden immer alle gesellschaftlichen Gruppen ab – berücksichtigen wir die Bedürfnisse aller Kinder, berücksichtigen wir automatisch die Interessen unserer gesamten Gesellschaft!“

„Das Thema Kinderrechte ernster nehmen“, dafür plädierte auch Podiumsmitglied Dr. Cornelius Trendelenburg. Seit Langem macht er sich für eine Aufnahme der Kinderechte ins Grundgesetz stark. Nur so könne deren Sichtbarkeit erhöht werden, um zu bewirken, dass die Rechte von Kindern und Jugendlichen bei Entscheidungen in Politik, Verwaltung und Rechtsprechung mitgedacht werden. So könne Kindeswohl umfassend gestärkt werden, sagte Trendelenburg. 2021 waren Verhandlungen der Großen Koalition bezüglich einer Aufnahme ins Grundgesetz allerdings gescheitert.

Die Veranstaltung machte deutlich: Es gibt nach wie vor große Defizite bei der Umsetzung der Kinderrechtskonvention. Die Rechte von Kindern und Jugendlichen bekannt zu machen, auszuführen und Kinder und Jugendliche in diesen Prozess zu integrieren, bleibt eine deutschlandweite und globale Herausforderung.  Denn die aktuelle UN-Kinderrechtskonvention wurde ausschließlich von Erwachsenen entworfen. Ziel sollte aber sein, Kinder und Jugendliche mehr und mehr als Akteur*innen zu sehen und bei der Gestaltung ihrer Lebenswelten miteinzubeziehen.

Den gesamten Vortrag von Dr. Katharina Gerarts finden Sie hier:

Zehn Grundrechte für Kinder

Die UNICEF, die Kinderrechtsorganisation der UNO, fasst die 54 Artikel der UN-Kinderrechtskonvention in zehn Grundrechten zusammen.

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