Zwischen 20 und 25 Prozent aller Asylantragsstellerinnen und -antragssteller aus den Jahren 2015 und 2016 sind zwischen 0 und 10 Jahren alt. In absoluten Zahlen sind dies über 250.000 Kinder. Dabei ist die größte Anzahl zwischen 0 und 3 Jahren alt. Hinzu kommen Kinder aus Familien, die zum Beispiel im Rahmen des Familiennachzugs nach Deutschland gekommen sind.
Es gibt nur wenig belastbare Zahlen zu der Frage, wie viele Kinder in eine Kita gehen und keine dazu, wie viele in einer Kindertagespflege betreut werden.
Laut einer ersten aktuellen repräsentativen Befragung von mehr als 4.500 erwachsenen Geflüchteten durch das Deutsche Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zusammen mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und dem Sozio-ökonomischen-Panel (SOEP) gehen 79% bzw. 78,1% der vier- bzw. fünfjährigen Kinder mit Fluchthintergrund in eine Kita. Jüngere Kinder besuchen eher seltener eine Kita. Eine weitere Studie des Deutschen Jugendinstituts hat festgestellt, dass mehr als ein Drittel der 1.773 befragten Kitas im Frühjahr 2016 geflüchtete Kinder betreut hat.
Die meisten geflüchteten Menschen kamen im Jahr 2016, ähnlich wie in 2015, aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und dem Iran sowie aus Eritrea.
Für Familien, die neu in Deutschland und mit der Kindertagesbetreuung hier noch nicht vertraut sind, ist entscheidend, dass in der Einrichtung oder Kindertagespflege alle Kinder und ihre Familien willkommen sind. Deshalb sollten Einrichtungen der Kindertagesbetreuung oder Kindertagespflegepersonen sich vor der Aufnahme eines geflüchteten Kindes ihrer eigenen Werte, ihrer Haltungen und interkulturellen Kompetenzen bewusst werden und diese kritisch reflektieren. Aufnehmende Einrichtungen und Kindertagespflegepersonen sollten sich auch mit Ängsten, Vorbehalten oder Vorurteilen auseinandersetzen.
Geflüchtete Kinder sind in erster Linie Kinder. Das sollte bei allen Planungen und Herausforderungen nicht vergessen werden. Vielleicht sprechen die Kinder und ihre Eltern noch kein oder erst wenig Deutsch und wissen nicht, was unter Kindertagesbetreuung in Deutschland verstanden wird. Dann benötigen sie anfangs wahrscheinlich etwas mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung. Dabei können mehrsprachige Materialien, Piktogramme und das praktische Zeigen in der Einrichtung vor Ort helfen. Für Eltern und Kinder ist erstmal ein Gefühl der Sicherheit und des Vertrauens in die Kompetenzen der Einrichtung oder Kindertagespflegeperson wichtig. Dies geht allen Familien so, unabhängig von ihrer Herkunft oder Geschichte.
Sobald Kinder im Asylverfahren die Erstaufnahmeeinrichtung verlassen haben und einer hessischen Kommune zugeteilt wurden, verfügen sie über den gleichen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz wie alle anderen Kinder auch. Das heißt, ab dem vollendeten ersten Lebensjahr hat ein Kind einen Rechtsanspruch auf Förderung in der Kindertageseinrichtung oder Kindertagespflege (§24 Abs. 2 SGB VIII) und ab Vollendeng des dritten Lebensjahres bis zum Schuleintritt hat es einen Rechtsanspruch auf Förderung in der Kita (§24 Abs. 3 SGB VIII).
Wenn die Eltern eines geflüchteten Kindes ihren Lebensunterhalt nicht aus eigener Kraft bestreiten können, dann hat das Kind, ebenso wie alle anderen Kinder, einen Anspruch auf die teilweise oder vollständige Übernahme der Kosten für einen Betreuungsplatz durch den Träger der öffentlichen Jugendhilfe.
Ja, auch geflüchtete Kinder haben einen Anspruch auf Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket (BuT), wenn ihr Lebensunterhalt nicht gesichert ist. Durch die BuT-Leistungen können insbesondere Mehrbedarfe wie Mittagsverpflegung und Ausflüge der Einrichtung oder Kindertagespflege abgedeckt werden.
Der aufenthaltsrechtliche Status jeder geflüchteten Familie ist unterschiedlich. Auch der Aufenthaltsstatus eines jeden einzelnen Familienmitglieds kann unterschiedlich sein.
Flüchtlingsfamilien mit einem ungesicherten Aufenthaltsstatus befinden sich meist noch im Asylverfahren und haben einen Aufenthaltsnachweis aus grünlichem Papier, der in der Regel nach wenigen Monaten verlängert werden muss (Aufenthaltsgestattung). Ein weiterer unsicherer Aufenthaltsstatus ist eine Duldung. Diese bedeutet, dass die betreffende Person eigentlich ausreisepflichtig ist, aber die Ausreise aus unterschiedlichen Gründen aktuell nicht möglich ist. In diesen Fällen bezieht die Familie in der Regel Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz vom örtlichen Sozialhilfeträger.
Familien mit einer Anerkennung als Flüchtling oder einer anderen positiven Asylentscheidung erhalten in der Regel einen Aufenthaltstitel für mindestens ein bis drei Jahre. Somit verfügen sie erstmal über einen gesicherten Aufenthaltsstatus. In diesen Fällen bezieht die Familie meist Leistungen nach dem SGB II vom kommunalen Jobcenter.
Für die Kindertagesbetreuung genügt schon eine Aufenthaltsgestattung. Solange das Kind im Asylverfahren die Erstaufnahme verlassen hat, einer Kommune zugewiesen wurde und das erste Lebensjahr vollendet hat, hat es Anspruch auf eine Kindertagesbetreuung. Aus pädagogischer Sicht ist zu beachten, dass sich viele Familien in einer emotional stark belastenden Situation befinden. Das kann am unsicheren Aufenthaltsstatus, der Situation im Herkunftsland, der neuen Situation in Deutschland oder anderen Faktoren liegen.
Für Aufnahme-, Eltern- und Entwicklungsgespräche mit geflüchteten Eltern ist oft ein Sprachmittler oder eine Sprachmittlerin nötig. In der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft zwischen Kindertagesbetreuung und Eltern spielt eine gute Kommunikation eine maßgebliche Rolle. Für Tür-und-Angel-Gespräche wird in der Regel keine Sprachmittlung benötigt. Mit möglichst einfacher Sprache, mit Piktogrammen, Bildern, Filmen oder auch mehrsprachigen Materialien können sich Fachkräfte und Kindertagespflegepersonen meist verständigen.
Manche Träger verfügen bereits über einen Personenpool, der für Gespräche mit Eltern genutzt werden kann. Manchmal sprechen auch Fachkräfte in der Einrichtung oder im Netzwerk eine benötigte Sprache. Andere mögliche Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner sind lokale Migrations- oder Flüchtlingsfachdienste, die unter Umständen jemanden vermitteln können. Auch kommunale Integrations- und Flüchtlingsbeauftragte oder WIR-Koordinatorinnen und WIR-Koordinatoren können bei der Suche helfen. Vielfach können auch die Eltern selbst Vertrauenspersonen mitbringen, die zwischen den Sprachen vermitteln.
Die Frage der Kostenübernahme von Sprachmittlerinnen und Sprachmittlern treibt die meisten Einrichtungen um. Sprechen Sie dies mit Ihrem Träger oder Ihrer Fachberatung ab. Eine Kostenübernahme kann unter Umständen beim Träger der Kindertagesbetreuung bzw. beim kommunalen Jugendamt beantragt werden. Jedoch handhabt jeder Träger die Kostenübernahme individuell. Deshalb ist es wichtig im Voraus zu klären, ob die Kosten für ein notwendiges Elterngespräch getragen werden. Im Sinne einer Bildungs- und Erziehungspartnerschaft im Rahmen des hessischen Bildungs- und Erziehungsplans (HBEP) und des §22a SGB VIII, nach dem Erziehungsberechtigte an wesentlichen Entscheidungen in der Kindertagesbetreuung zu beteiligen sind, kann der Träger der örtlichen Jugendhilfe dies dem Ermessen nach leisten. Des Weiteren können Sprachmittlerinnen und Sprachmittler auch über die HBEP-Qualitätspauschale oder die Schwerpunkt-Kita-Pauschale finanziert werden (§32 Abs. 3 und 4 HKJGB).
Manche Träger stellen eigens aufgelegte Fonds zur Unterstützung von Flüchtlingen bereit, durch die auch Sprachmittlungskosten getragen werden (z.B. bei kirchlichen Trägern).
Viele geflüchtete Kinder wurden in ihrem Leben mit starken Belastungserfahrungen konfrontiert. Das bedeutet jedoch nicht automatisch, dass eine Krise auch zu Traumafolgestörungen führt. Nicht alle geflüchteten Kinder sind traumatisiert. Dennoch gibt es tatsächlich eine beträchtliche Anzahl an traumatisierten Kindern, die besondere Unterstützung benötigen.
Für belastete und traumatisierte Kinder sind insbesondere verlässliche Orte der Sicherheit und Rituale wichtig. Räumlichkeiten mit Rückzugsmöglichkeiten sind dabei ebenso hilfreich wie „Tobe-Ecken“. Die klare Formulierung dem Kind gegenüber, dass es hier und jetzt in dieser Situation in Sicherheit ist, stärkt das Vertrauen des Kindes in die Kindertagesstätte oder Kindertagespflege.
Versuchen Sie im Gespräch mit den Eltern Schutz- und Risikofaktoren zu identifizieren, die das Kind stärken oder belasten.
Belastete und traumatisierte Kinder können unterschiedliche Reaktionen zeigen: Häufig werden Erinnerungen aus der Vergangenheit wiedererlebt, das Kind überregt und wird wütend oder es vermeidet bestimmte Dinge und zieht sich zurück.
Die Kindertagesbetreuung hat keinen Anspruch auf therapeutische Traumabegleitung. Sollten pädagogische Maßnahmen nicht ausreichen, sollten Kindertagesbetreuungspersonen Kontakt mit Beratungsstellen oder Kinderärztinnen und Kinderärzten anbahnen und gemeinsam mit der Familie nach geigneten Maßnahmen suchen.
Über die richtige Ernährung in der Kindertagesbetreuung wird heute viel diskutiert: Gesund und schmackhaft, bio und regional, günstig und schnell, vegetarisch, vegan, laktose- oder glutenfrei – es gibt vieles zu beachten. Das ändert sich mit geflüchteten Kindern nicht grundsätzlich. Was vor dem Hintergrund kultureller Traditionen beachtet werden sollte, muss mit den Eltern im Aufnahmegespräch geklärt werden. Das Essen und seine Vielfalt schaffen oft schnell Kontakt. Das Aufgreifen von Essenstraditionen aus den Familien bereichert den Speiseplan der Kindertagesbetreuung.
Alle Geflüchteten werden nach ihrer Ankunft in Deutschland in einer Erstaufnahmeeinrichtung medizinisch untersucht. Dort wird neben der Untersuchung auf übertragbare Krankheiten auch der Impfstatus der angekommenen Menschen erhoben. Sie werden über die amtlich empfohlenen Impfungen aufgeklärt und erhalten die Möglichkeit sich impfen zu lassen. Wer sich nicht impfen lassen möchte, muss dies nicht, da in Deutschland keine Impfpflicht besteht. Auch nach Verteilung auf die Kommunen können Geflüchtete sich impfen lassen.
Die medizinisch gebotenen Vorsorgeuntersuchungen werden für Kinder unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus gewährt. Dafür müssen die Familien selbstständig einen Termin bei ihrem Kinderarzt oder ihrer Kinderärztin vereinbaren. Um solche wichtigen Termine zu vereinbaren, brauchen Eltern manchmal Unterstützung.
Mit gezielter Unterstützung lernen Kinder sehr schnell eine weitere Sprache zusätzlich zu ihre(n) Erstsprache(n). Dabei sind insbesondere der soziale Kontakt und die Interaktion mit den Menschen, die die Kinder umgeben, hervorzuheben. Themen und Handlungen, die das Kind beschäftigen und interessieren, sind dabei besonders lernfördernd. Häufig wird dabei auf das Konzept der alltagsintegrierten sprachlichen Bildung und Förderung gesetzt. Gleichzeitig sollten auch die Herkunftssprache(n) der Kinder wertgeschätzt und unterstützt werden.
In den vergangenen drei Jahren ist eine Vielzahl an Kinderbüchern rund um das Thema Flucht und Ankommen erschienen.
Auf der Homepage der Fachstelle „Kinderwelten für Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung“ gibt es eine ganze Reihe an
Empfehlungen für vorurteilsbewusste Kinderbücher für verschiedene Altersstufen: https://www.situationsansatz.de/vorurteilsbewusste-kinderbuecher.html
Die Stiftung Lesen hat Literaturempfehlungen zum Thema „Geschichten öffnen Türen – Vorlesen und Erzählen mit Kindern
aus aller Welt“ mit einer ganzen Reihe an altersspezifischen Vorschlägen herausgegeben: https://www.stiftunglesen.de/download.php?type=documentpdf&id=1615
Für viele Kinder und Familien ist Mehrsprachigkeit bereits heute gelebter Alltag. Ein wertschätzender Umgang mit der Vielfalt der Sprachen in der Kindertageseinrichtung oder in der Kindertagespflege ist für Kinder und Eltern ein bedeutendes Zeichen. Ein gemeinsam gestaltetes Bild mit „Herzlich Willkommen“ in den Sprachen, die in der Kita oder Kindertagespflege vorhanden sind, erzeugt eine einladende und offene Atmosphäre. Mehrsprachige Kinderbücher können gemeinsam betrachtet oder von mehrsprachigen Eltern vorgelesen werden. So wird ein Bewusstsein für die Vielfalt der Sprachen geschaffen und die Sprachbildung der Kinder unterstützt.
Geflüchtete kommen aus sehr unterschiedlichen Ländern nach Deutschland. Außerdem haben sie unterschiedliche Sozialisationen und Bildungsmöglichkeiten erfahren.
Daher kann man nicht pauschal sagen, was Geflüchtete unter frühkindlicher Bildung verstehen. Schon innerhalb der einzelnen Länder gibt es Unterschiede. Eine Ärztin aus Damaskus versteht darunter möglicherweise etwas anderes als ein Landwirt aus einem ländlich geprägten Gebiet Syriens.
Dennoch gibt es in den meisten Ländern aus denen Geflüchtete kommen kaum oder keine institutionelle frühkindliche Bildung. Oft ist dies auch von der Berufstätigkeit und den finanziellen Möglichkeiten der Eltern abhängig. Deshalb sind die Kindertagesbetreuung und die damit verbundenen Strukturen für die Mehrzahl etwas Neues und Unbekanntes mit dem sie sich erst noch vertraut machen müssen.
Bei weiteren Fragen, wenden Sie sich gerne an die für Sie zuständige Beratungs- und Servicestelle „Kinder mit Fluchthintergrund in der Kindertagesbetreuung in Hessen“.